Berlioz Symphonie Fantastique - SCO & Ticciati - Klassik
Schrecken in der Kammer
Robin Ticciati bietet einen kammermusikalisch kleingliedrigen und Einzelaktionen aufs Prägnanteste herausarbeitenden Zugriff auf die 'Symphonie fantastique' von Berlioz.
Als sich in den frühen 1990er Jahren Vertreter historisch informierter Aufführungspraxis über Mozart und Beethoven den Weg ins 19. Jahrhundert bahnten, stand gleich nach der Beschäftigung mit Beethovens Sinfonien Berlioz auf dem Programm. Da man sich zu dieser Zeit in den Interpretationen nach historisch-orientierter Maßgabe vor allem um die ‚äußeren‘ Elemente der Interpretation (Instrumente, Orchestergröße, -aufstellung) kümmerte, war der Schritt zu Berlioz nur logisch: Bei Berlioz ist die Klangfarbe wesentlicher Parameter der Komposition und auch die spezifische Orchesteraufstellung im damaligen Pariser Conservatoire führt zu einem besonderen Klangeindruck. Die Orchestergröße wurde im Vergleich zu einem modernen Sinfonieorchester bei Norrington und Gardiner, Minkowski und Immerseel aber nicht reduziert.
Nun ist mit vorliegender hybriden SACD aus dem Hause Linn Berlioz‘ 'Symphonie fantastique' op. 14 in leicht reduzierter Orchestergröße zu erleben. Das allerdings scheint nicht der entscheidende Aspekt dieser Aufnahme zu sein, denn durch das räumlich klare Klangbild wirkt das Orchester größer, fülliger als es rein zahlenmäßig eigentlich ist. Entscheidend ist vielmehr, dass der junge englische Dirigent Robin Ticciati bei historisch informierten Aufführungsweisen anknüpft, die eher auf die Musikdes 18. Jahrhunderts angewandt werden denn auf romantische: Robin Ticciati favorisiert eine gestisch zugespitzte Phrasierung, die übergeordnete Zusammenhänge und melodische Bögen zugunsten deklamatorischer Prägnanz aufbricht. Davon ist vor allem die langsame Einleitung (eigentlich ein eigener erster Abschnitt) des Kopfsatzes geprägt. Mittels dynamischer Feinarbeit auf engem Raum und artikulatorischer Finesse schärft das hoch virtuose Scottish Chamber Orchestra die expressiven Potentiale jeder einzelnen musikalischen Geste und lässt sie als Ausdruckskontur erlebbar werden.
Einem solch kleinteiligen Musizieren droht die Gefahr, größere Zusammenhänge zu segmentieren, vor allem, wenn es um weiter ausschwingende Kantilenen geht. Ticciati entgeht dieser Falle im ersten Satz nicht immer, im zweiten und in der 'Scène aux champs' lässt er die Musiker des Scottish Chamber Orchester in Bezug auf Phrasierung und übergeordnete Zusammenhänge jedoch weiter ausgreifen. Beachtenswert ist Robin Ticciatis Deutungsansatz vor allem, weil er in allen Belangen auf die Tugenden und Möglichkeiten eines kammermusikalischen Musizierens baut und somit seinen interpretatorischen Zugriff geradewegs aus den Potentialen des Scottish Chamber Orchester schöpft. Das gilt neben der gewissermaßen kammermusikalisch feingliedrigen Phrasierung vor allem für Farbgebung und Stimmengewichtung. Berlioz‘ eigenwillige Instrumentation wird auf höchst transparente Weise zum Klingen gebracht, die Balance der Stimmen ist darauf ausgelegt, den Orchestersatz möglichst zum Schillern zu bringen (etwa in der Durchführung des Kopfsatzes oder in den kontrapunktischen Passagen des letzten Satzes).
...besser steht Ticciatis kammermusikalisch-graziler Zugriff der rhythmisch leichtfüßigen und melodisch locker gefügten Ouvertüre zu 'Béatrice et Bénédict' zu Gesicht, die einen schönen Abschluss bildet.