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James Gilchrist - My Beloved is Mine - Klassik

Interpretation: 4 stars
Klangqualität: 5 stars
Repertoirewert: 4 stars
Booklet: 4 stars

Die Seele streicheln
Diese Zusammenstellung von Liedern Benjamin Brittens braucht keinen Vergleich zu scheuen.

Linn ist ein (SA)CD-Label, das aufnahmetechnisch neue Standards setzt. Wer eine audiophile Produktion genießen möchte, ist hier immer an der allerersten Adresse. Und bei den Lied-SACDs von James Gilchrist und Anna Tilbrook erst recht. Gleich, was die beiden Musiker auf den Silberling bannen, das Ergebnis zeugt von sorgsamster Vorbereitung und höchsten Ansprüchen bei der Umsetzung, klanglich wie musikalisch.

Diesmal also eine ganze SACD mit Britten - in Fortsetzung der Leighton/Britten-Produktion, die ich vor einigen Jahren auf diesen Seiten habe besprechen können. Auch bei den hier vorgelegten vier Werken ist die Konkurrenz hart, mit Philip Langridge, Anthony Rolfe Johnson, Ian Bostridge, John Mark Ainsley, Mark Padmore und nicht zuletzt Peter Pears höchstselbst. Gilchrist braucht diese Konkurrenz nicht zu fürchten. Den frühen Zyklus 'On this Island' op. 11 auf Texte W. H. Audens gestalten Gilchrist und Tilbrook mit schöner Frische, lassen gerade hierdurch viele Konkurrenten hinter sich, teilweise weit hinter sich. Hier fällt auch weniger auf, dass Gilchrist bei gehaltenen Tönen ein teilweise ein wenig störendes schnelles, schnarrendes Vibrato zu Hilfe nehmen muss; im Gegenteil, seine Koloraturfähigkeit, seine perfekte Fähigkeit zur dynamischen Abschattierung ist sicher seine fünf Sterne wert. 'As it is, plenty' ist geradezu genialisch interpretiert, besser als alle anderen Interpretationen, die ich je gehört habe.

Bei den 'Seven Sonnets of Michelangelo' op. 22 schleicht sich der Eindruck ein, dass andere Interpreten das Italienische noch besser beherrschen, bei ihnen die Sprache noch flüssiger fließt, Brittens musikalische Eigenheiten noch stimmiger umgesetzt werden. Hier stört auch das schnarrende Vibrato gelegentlich, so dass Gilchrist hier nicht ganz in der allerersten Reihe mithalten kann. Auch scheint Tilbrook hier noch nicht ganz ein so kongenialer Klavierpartner wie Steuart Bedford für Philip Langridge oder Britten für Pears.

Bei den 'Holy Sonnets of John Donne' op. 35 fühlen sich beide Musiker wieder hörbar wohler. Die tiefe Durchdringung der neun Gesänge, die eine zentrale Position in Brittens Liedschaffen einnehmen, beweist die herausragenden Fähigkeiten vor allem Gilchrists; es ist nur als unangemessen zu bezeichnen, dass er so viel weniger bekannt ist als manch anderer seiner Fachkollegen. Was für herrliche Schwebungen auf ‚holy discontent‘, was für eine feine Farbführung, etwa auf ‚crucified‘. Hier kalkuliert er auch den Vibratogebrauch ganz genau und erlangt aus diesem eine zusätzliche emotionale Komponente. Die SACD endet mit dem Canticle I 'My Beloved is Mine' op. 40, von Gilchrist und Tilbrook abermals mit reicher Farbpalette und kongenialem Eingehen aufeinander dargeboten. Einzig das Booklet ist nicht ganz auf einem Niveau mit der Tonträgerproduktion selbst, doch wer achtet schon groß auf das Booklet bei einer derart herrlichen Produktion?    

Klassik
04 October 2012