Boston Baroque - Haydn: Lord Nelson Mass - Klassik
Interpretation: 4 stars
Klangqualität: 4 stars
Zielgerichtete Dramatik
Der individuelle Charakter dieser Hayden-Aufnahme besteht in der Klangwucht der Ensembles bei der Messe, freizügiger Agogik in der Symphonie und der starken Herausarbeitung der Rhythmik.
Klangwuchtig und mit einer beachtenswerten Fülle musikalischer Kontraste präsentiert sich die neue Veröffentlichung des renommierten Ensembles Boston Baroque mit der 'Missa in angustiis' und der Symphonie Nr. 102 in B-Dur von Joseph Haydn. Die zupackende Dramatik der Messe, die den Beinamen ‚Nelson-Messe‘ trägt, wird direkt im Kyrie mit einem sehr intensiven, klangstarken Zugriff von Orchester und Chor des Boston Baroque und den Solisten Mary Wilson, Sopran, Abigail Fischer, Mezzosopran, Keith Jameson, Tenor, und Kevin Deas, Bass-Bariton unter der Leitung von Martin Pearlman spürbar. Zahlreiche musikalische Einzelleistungen und -aspekte, insbesondere aber das stimmige, transparente Gesamtbild sind bei der Interpretationdieser Messe von Haydn sehr lobenswert. Mit opulenten Stimmen fügen sich die Solisten gut in das vorwärtsstrebende Gesamtgefüge aus Chor und Orchester ein. Aber auch das Vermögen zur plötzlichen Reduktion von Lautstärke und schnellen Ausdruckswechseln, insbesondere im Chor, ist hervorzuheben; so beispielsweise im 'Qui tollis peccata mundi' des Gloria. Die vorliegende Einspielung der Messe bietet musikalische Frische und Energie, hohe Konzentration und intensive Gestaltung. Das Ergebnis ist beeindruckend.
Diese Einspielung ist offenbar keine schnell produzierte Gelegenheitsaufnahme, hinter ihr verbergen sich ein durchdachtes Gesamtkonzept und eine intensive Auseinandersetzung mit den kompositorischen Eigenheiten der Werke. Besonders greifbar istdies in der Ausgestaltung der Harmonik, der Hervorhebung von scharfen Dissonanzen und den damit verbundenen Ausdruckswechseln.
Gleichermaßen wirkungsvoll ist auch die anschließende Interpretation der Symphonie Nr. 102 mit dem Beinamen ‚The Miracle‘. Erstaunlich ist zwar die ausgeprägte Agogik im Adagio-Satz; dies und auch die teils überaus scharfen Rhythmisierungenverleihen der Aufnahmen aber einen besonderen Reiz. Klare Phrasierungen, forcierte Streicherläufe und gute solistische Einlagender Holzbläser bestätigen den hervorragenden Eindruck der Orchesterbegleitung in der Messe.
Die vorliegende Einspielung besticht durch ihren individuellen Charakter, der sich von gefälligen, klanglich eher zurückhaltenden und allzu ebenmäßigen Interpretationen deutlich absetzt. Sie empfiehlt sich als intensive, musik analytische Auseinandersetzung mit den Werken. Der interpretatorischen Individualität, der rhythmischen Prägnanz und der insgesamt unkonventionellen Herangehensweise wegen lohnt sie sich als Alternative zu den exzellenten Haydn-Einspielungen im Rahmender Symphonien-Gesamteinspielung mit den Heidelberger Sinfonikern unter Thomas Frey.