Phantasm - Dowland: Lachrimae - SWR2 Treffpunkt Klassik
John Dowland, der 1626 verstorbene Meister der Melancholie, hat mit „Semper Dowland, semper dolens“ eine seiner Pavanen überschrieben: „Einmal Dowland, immer leidend“. Das Stück ist Teil der Sammlung „Lachrimae or Seven Tears“, auf Deutsch also „Tränen“ – abermals ein Titel, der auf das trübselige Gemüt des Komponisten verweist. Gemeinsam mit der Lautenistin Elizabeth Kenny hat das Violen-Consort Phantasm die „Lachrimae“ jetzt auf CD vorgelegt. Am Beginn des Zyklus steht eine Transkription von Dowlands bekanntestem „Song of Sadness“, dem tieftraurigen „Flow my tears“, dessen absteigende Melodielinie suggestiv die Tränen kullern lässt.
In sieben Pavanen, also langsamen Schreittänzen, wird hier das absteigende Tränen-Thema variiert und ausgeleuchtet: als Tränen der Trauer, der Liebe, der Treue usw. Das ist einerseits eine radikal Ich-bezogene Klangwelt: Laurence Dreyfus, der Gründer und Leiter des Ensembles Phantasm, spricht vom „stilisierten Selbstportrait eines vom Glück verlassenen Mannes“. Andererseits aber entsteht die Schönheit und Ausdruckskraft dieser Musik gerade durch den Verzicht auf Subjektivität. Denn anders als etwa beim Streichquartett geht es nicht um die Individualität der Stimmen, sondern um den Zusammenklang. Nie drängt sich eine der fünf Violen in den Vordergrund – alle bleiben immer wie in einem Zopfgeflecht ineinander verschlungen, sodass man gleichzeitig die verschiedensten Facetten ein und derselben Motivik hört.
In den 14 weiteren Tänzen, die Dowland auf die Pavanen der „Sieben Tränen“ folgen lässt, nimmt er verschiedene Widmungsträger ins Visier: einen schneidigen Kriegshelden zum Beispiel. Oder einen berüchtigten Piraten. Oder mit „The King of Denmark‘s Galliard“ auch den König von Dänemark, an dessen Hof in Kopenhagen Dowland einige Jahre diente. Weniger streng als die Pavanen aus derselben Sammlung klingt diese Gaillarde – klar, sie ist ja auch ein Springtanz. Aber der lichtere Charakter hat nicht zuletzt mit folkloristischen Elementen zu tun. Und mit der verspielten Ornamentik, die das Ensemble einbringt. Denn das ist die Kunst bei Dowland: Wenn man sich die originalen Notenblätter ansieht, fällt auf, dass nur die Grundpfeiler vermerkt sind. Wie Slalomstangen stecken sie den Kurs ab, aber wie die Interpreten von einer Stange zur andern kommen, welchen Weg sie dabei nehmen, den kürzesten oder einen längeren, und welche Verzierungen sie anbringen – das bleibt ganz ihrem Belieben überlassen. Das 1994 gegründete Ensemble Phantasm, das lange an der Oxford University beheimatet war, bevor es 2016 nach Berlin zog, beherrscht diese Disziplin meisterlich.
Je länger man sich in diese CD mit den „Lachrimae“ vertieft, desto mehr gerät man in ihren Sog, in den schier unendlichen Strom der Melodien, Rhythmen und meditativen Reflexionen, den Dowland nie abreißen lässt. Der Klang des Ensembles Phantasm bleibt dabei stets nobel: Mal ist er opulent, mal ätherisch, immer aber hat er etwas Schwebendes. Und die ausgezeichnete Tontechnik rückt diese Qualitäten ins beste Licht.