Boston Baroque - Haydn: Lord Nelson Mass - Fono Forum
Das düster-dramatische Kyrie der „Nelson-Messe" allein wäre schon geeignet, das Klischee vom gemütlichen Papa Haydn ad absurdumzu führen. Martin Pearlman inszeniert den Satz mit Recht als aufrüttelnde Bitte um Erbarmen in einer von allerlei Bedrängnissen - bei Haydn waren es die Napoleonischen Kriege - heimgesuchten Welt. Auch in den übrigen Sätzen dieser nur wenige Monate nach der „Schöpfung" fertiggestellten Messe gelingt dem Dirigenten die Nachzeichnung des Bedrohlichen, Dunklen am besten. Dazu führt er seine an der historisierenden Aufführungspraxis orientierten Ensembles mit hohem Tempo und erfrischender Agilität durch die Partitur.
Die spirituelle Dimension, die sich irgendwo jenseits der aufrüttelnden Töne bewegt, kommt dagegen zu kurz. Pearlman lässt recht eckig und scharfkantig artikulieren, um ein Höchstmaß an Klarheit zu erreichen. Der strohige Streicherklang von Boston Baroque tut ein Übriges, um Gedanken an Geschmeidigkeit nicht erst aufkommen zu lassen. Dass Pearlman die ohnehin herber klingende erste Fassung der Messe aufführt, in der Haydn auf die Holzbläser verzichtet, scheint nur konsequent. Der gemischte Kammerchor von Boston Baroque ist ebenso gut abgestimmt und präzise bei der Sache wie das gut harmonierende Solistenquartett, aus dem die Sopranistin Mary Wilson mit ihren beeindruckendenKyrie-Koloraturen am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht. Im selben Geist wie die Messe erklingt Haydns in Londonkomponierte Sinfonie Nr. 102, die von Pearlman etwas zu sehr in Richtung Forschheit gebürstet wird. Ob der Cello-Part im langsamen Satz wirklich von einem Soloinstrument auszuführenist, wird inzwischen kontrovers diskutiert.