Dunedin Consort - J.S. Bach: Christmas Oratorio - Schreibwolff
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Transparenz ist nicht alles
Heinz Erhardt sagte seinerzeit immer: „Noch 'n Gedicht." Und scheinbar orientiert sich vor allem die „Ernste Musik" an dem großen Komiker, wenn es um Einspielungen gerade der oratorischen Werke Johann Sebastian Bachs geht: Noch ‘ne Passion, noch ‘ne h-moll-Messe, noch ‘n Weihnachtsoratorium.
Die Kunst dabei ist, den (gerade durch die großflächige Versorgung mit Tonträgern sattsam bekannt scheinenden) Kompositionen neue Aspekte und damit Einsichten in die Musik ihres Schöpfers abzuringen. Hier können viele Wege zum Ziel führen (und jenes nicht selten bereits beinhalten): die Auswahl der Interpreten, ein ganz eigener Duktus in puncto Dynamik und Agogik, die Herangehensweise in Richtung historisch informierter Aufführungspraxis.
An diesem Punkt setzt das Weihnachtsoratorium an, das der britische Barockspezialist John Dutt nun mit den Musikern und Sängern seines Dunedin Consorts vorgelegt hat. Auf zwei CDs bei Linn Records erschienen zeigt es dem Hörer eine äußerst transparent musizierte Version der Bachschen Festmusik, denn neben einem schlanken Orchesterapparat hat Dutt auch bei den Chorpartien hörbar auf Gewichtsreduzierung gesetzt - eben wie zu Bachs Zeiten.
Zu den Gesangssolisten - Kantaten I, III und VI: Mary Bevan (Sopran), Clare Wilkinson (Mezzo-Sopran), Nicholas Mulroy (Tenor) und Matthew Brook (Bass); Kantaten II, IV und V: Joanne Lunn (Sopran), Ciara Hendrick (Mezzo-Sopran), Thomas Hobbs (Tenor) und Konstantin Wolf (Bass) - gesellen sich die Ripieno-Vokalisten Rachel Redmond (Sopran) und Katie Scofield (Alt) sowie Malcolm Bennett (Tenor) und Alex Jones (Bass). Dass die Rezension den „gesamten Chor" aufführt, hat seinen Grund, denn genau hier liegt der Knackpunkt der Aufnahme, die sie gegenüber anderen, fülliger besetzten Einspielungen letzten Endes eher blass daherkommen lässt.
Jeder Sänger ist für sich genommen gut, keine Frage. Auch das Zusammenspiel mit dem vital musizierenden Orchester gelingt ausgesprochen elegant. Doch dem unbedingten Willen zur klanglichen Transparenz, die eine (quasi-)solistische Besetzung des „Chores" schafft, fällt jene Klangfülle zum Opfer, die gerade in den üppigen Eingangschören des Weihnachtsoratoriums unbedingt vonnöten ist.
Ja, auch Bach stand seinerzeit kein Chor mit 60 bis 80 Sängern zur Verfügung. Aber trotz aller historischer Informiertheit, mit der diese Musik heutzutage angegangen wird: Solche Minimalbesetzungen näheren sich dem Kern eher akademisch - das Herz wird von einem derart aseptisch wirkenden Klang selten angesprochen, die unbestreitbar dokumentierte Kunst verfliegt im Nu.
Barocke Oratorien einzig von Solisten musizieren zu lassen hat natürlich seinen Reiz: Doch der ereignet sich eben nur auf der Konzertbühne, beim Liveerlebnis - aus der „Konserve" schmeckt's einfach nicht so gut. Allerdings braucht man die Aufnahme des Dunedin Consorts nicht gänzlich unbeachtet beiseitelegen: Erstens ist sie wunderschön in Buchform (mit leider nur englischem Booklet-Text) aufgemacht und zweitens eignet sich die Einspielung dank ihrer Transparenz bestens zum Nachhören einzelner Stimmen, Erkennen der Kompositionsstruktur und notabene Einstudieren des Werkes.