Éric Le Sage - Fauré: Nocturnes - Rondo
Zwischen 1875 und 1921 komponierte Gabriel Fauré insgesamt 13 Nocturnes für Klavier. Von Anfang an tragen diese Stücke die ganz persönliche Handschrift ihres Komponisten; sie knüpfen eigentlich kaum an Chopins Meisterwerke in dieser Gattung an (da möchte ich dem Autor des Beiheft-Textes zu dieser CD widersprechen). Aber noch interessanter als der Ausgangspunkt dieser Werke ist eigentlich ihr Ziel: In den letzten fünf Nocturnes ändert sich der Tonfall. Die Musik wird materiell sparsamer, neigt satztechnisch zu fast obsessiver Ausschlachtung je eines einzigen Motivbausteins, die einhergeht mit einer beinahe beklemmenden harmonischen Verdichtung. Auf Fauré wird hier der Ersthörer kaum tippen, es sei denn, er hat sich eingehend mit dessen Spätwerk beschäftigt, besonders mit dem Streichquartett. Ende der 80er Jahre spielte Jean Hubeau die 13 Nocturnes im Rahmen der Gesamtaufnahme der Klavierwerke Faurés ein. Die Interpretation dieses einzigartigen Kenners der französischen Klaviermusik konnte bisher als Belegaufnahme gelten. Mit Éric Le Sages Einspielung allerdings wird ein neues Kapitel in der Rezeptionsgeschichte dieser Stücke aufgeschlagen: Hubeaus Herangehensweise ist eine klassizistische, elegante und im Ausdruck sehr gemessene. Den Tonfall, den er in den ersten Nocturnes anschlägt, behält er bis zum Ende bei. Dadurch können vor allem die genannten späten Stücke nicht ihr dramatisches Potenzial zur Gänze entfalten. Vor allem hier ist Le Sage in seinem Element: Mit der vollen Wucht einer leidenschaftlich zupackenden Umsetzung präsentiert er dem Hörer einen ganz neuen, überraschend kühnen und visionären Fauré. Man hat seine Musik ja vor allem in Deutschland allzu lang als Salonmusik belächelt und entsprechend unterschätzt. Mit der vorliegenden Einspielung der Nocturnes ist dieser Verkennung endgültig jeglicher Boden entzogen.