Le Poème Harmonique - Allegri & Monteverdi: Anamorfosi - Rondo
Wag-Halsig: Den Mythos, der Gregorio Allegris für hundert Jahre ausschließlich in der Capella Sistina aufgeführtes und bestauntes „Miserere“ ausübte, konnte erst Wolfgang Amadeus Mozart brechen. Denn er war in der Lage, das dort gehörte Werk aus dem Kopf zu notieren. Das schloss aber nicht die Verzierungen und Aufführungskonventionen mit ein, die sich seit 1630 über das weithin berühmte und regelmäßig von der Capella gesungene Vokalstück gelegt hatten. Um diese wiederzubeleben muss man einen Spagat beherrschen: sich forschend in das 17. Jahrhundert vertieft haben und dann auf Basis dieser Regeln eine frei und spontan wirkende Fassung mit Verzierungen musizieren können. Schon in seinem Album „Nuove Metamorfosi“ hatte Leiter Vincent Dumestre mit seinem Ensemble Le Poème Harmonique, das dieses Jahr sein 20. Jubiläum feiert, ins anspruchsvolle Gebiet des improvisatorisch verzierten Faux-bourdons vorgewagt. Meditative Klangflächen bildeten den Hintergrund für virtuos geschmückte Gesangslinien. Im neuen Album „Anamorfosi“ gehen sie noch einen Schritt weiter: Nicht nur verwandeln sie Allegris Miserere mit überraschenden Reibungen und Wendungen wieder in ein lebendiges Musikstück, sie stellen Bezüge zu Claudio Monteverdis weltlichen Umdichtungen geistlicher Werke heraus - und wagen sich in erstaunliche, fast avantgardistisch klingende Bereiche der Harmonie vor.