Maxwell Quartet - Haydn: String Quartets Op. 74 - Folk Music from Scotland - SWR2
Aber dieses schottische Ensemble zeigt gerade auch bei den Tanzsätzen die ganze Originalität und den Hintersinn von Haydns Musik. Sie stellen nämlich vertraute Elemente so verblüffend gegeneinander, dass etwas völlig Unerwartetes dabei herauskommt. Wie etwa am Anfang unseres Beispiels: Da betonen die Maxwells die Gegenakzente des Tanzrhythmus so stark, dass es klingt, als würden zwei Stücke gleichzeitig gespielt: ein Menuett und ein Jagdstück, also eine Chasse. Außerdem kosten sie den Dialog zwischen den Stimmengenüsslich aus: Wenn das Cello auf die erste Violine antwortet, dann klingt das wie ein kauziger Kommentar. Oder wie ein notorischer Nörgler, der sich in die Veranstaltung geschlichen hat. Dadurch erinnert der Satz an eine Komödie mit schrägen Typen. Auch das Trio bleibt beim Maxwell Quartet nicht im Volkston stecken –es wird geradezu aufgeklappt und analysiert. Das Ganze hat viel Witz im Sinne des 18. Jahrhunderts, als man darunter weniger den Humor als die Gewitztheit verstand, das heißt Einfallsreichtum und Scharfsinn. Wenn das schottische Maxwell Quartet das Finale aus Haydns „Reiterquartett“ in g-Moll spielt, dann kann man lernen, wie wichtig in der Musik die Pause ist. Denn mit der Dosierung der Unterbrechungen bauen die vier jungen Männer die Spannung und die Dramaturgie auf. Das reicht von der kurzen Atempause einer Zäsur über die Schrecksekunde bis zu einemwahren Abgrund an Stille und Schweigen. Dadurch läuft die Interpretation auf das glatte Gegenteil zum überkommenen Papa-Haydn-Klischee hinaus. Wenn diese Musik so aufgeführt wird, dann klingt sie unheimlich oder unberechenbar, also eher dämonisch als väterlich. Das Maxwell Quartet führt uns das Paradox dieses Finales drastisch vor Ohren. Einerseits gibt es hier diese strikten, geradezu uhrwerkhaften Schläge mit oder gegen den Takt, andererseits wartet Haydn mit einer großen rhapsodischen Freiheit auf, die sich bis ins Exzentrische versteigen kann. Das Erfolgsgeheimnis der Maxwells ist, dass sie beide Komponenten perfekt ausbalancieren. Wären sie nur leidenschaftlich, dann würde der metrische Witz auf der Strecke bleiben. Würden sie nur auf das Spiel mit dem Takt setzen, dann wäre es eine Verharmlosung. Joseph Haydn war ein großer Fan der Volksmusik, auch der schottischen, die er in zahlreichen Volksliedbearbeitungen aufgriff. Und so ist es gar nicht abwegig, dass die vier Herren vom Maxwell Quartet ihrer CD auch eigene Bearbeitungen schottischer Volksweisen beigefügt haben. Sie ist so raffiniert gemacht, dass man kaum mehr glauben kann, ein Streichquartett zu hören –die vier Instrumente verschmelzen zu einem einzigen, gemeinschaftlichen. Hier haben wir es mit einer anderen Originalität als bei Haydn zu tun, es geht um Ursprünglichkeit. Die sollte man allerdings nicht mit Urwüchsigkeit verwechseln, denn die Maxwells präsentieren diese Lieder weder unbehauen noch naturbelassen, sondern mit hoher Sensibilität für den Klang, die Intonation, den tänzerischen Schwung. Und natürlich mit großem Respekt, mit Liebe, die wohl ohnehin das Schlüsselwort für diese neue CD bietet: Sie ist eine Liebeserklärung an die schottische Volksmusik. Und an Joseph Haydn.