Royal Academy of Music Soloists Ensemble & Trevor Pinnock - Mahler: Symphony No. 4 - Klassik
Interpretation: 4 stars
Klangqualität:
4 stars
Repertoirewert: 4 stars
Eine musikalisch sehr gute und in der kammermusikalisch reduzierten Darstellung symphonischer Musikintime und durchsichtige Interpretation von Mahlers Vierter Sinfonie und Debussys 'Prélude à l'après-midid'un faune'.
Gustav Mahler kannte die kammermusikalische Fassung seiner Vierten Sinfonie nicht. Erwin Stein, ein Schüler Arnold Schönbergs, hatte sie für eine Aufführung bei den Konzerten des Vereins für musikalische Privataufführungen erstellt, und indiesem Rahmen wurde die auf vierzehn Instrumente reduzierte Sinfonie am 10. Januar 1921 zur Aufführung gebracht. Das Wunderhorn-Lied 'Das himmlische Leben' wurde damals von Martha Fuchs gesungen. Auch Claude Debussy hat nicht mehr erlebt, dass sein 'Prélude à l'après-midi d‘un faune' sowie verschiedene andere seiner Werke für die Konzerte des Vereins bearbeitet wurden.
Schönbergs Verein bestand nur drei Jahre und wurde dann durch die Rezession im Dezember 1921 zur Auflösung gezwungen. Sein pädagogisch anspruchsvolles Konzept bestand in der (oft auch wiederholten) Aufführung zeitgenössischer Kompositionenvor einem kundigen und gleichwohl Unbekanntem gegenüber aufgeschlossenen Publikum, das aus den Mitgliedern des Vereinsbestand. Dass diese sich mit neuer Musik auseinandersetzen wollten, wurde vorausgesetzt. Die Programme wurden nicht im Vorhinein öffentlich gemacht, um ein unvoreingenommenes und nicht persönlich selektiertes Hörerlebnis zu gewährleisten. Daaber in der Regel kein größeres Orchester zur Verfügung stand, wurden die Kompositionen in Klavier– oder Kammermusikfassungen gespielt, die Mitglieder des Vereins und Schüler Schönbergs nach dessen Vorgaben angefertigt hatten. Benno Sachs sorgte für die reduzierte Fassung von Debussys 'Prélude', Erwin Stein für die von Mahlers Vierter.
Kammermusikfassungen im Zusammenhang historisch informierter Aufführungspraxis
Kammermusikalische Fassungen von symphonischen Werken anzufertigen und zur Aufführung zu bringen, ist also nicht ersteine Erfindung der heutigen Zeit, um beispielsweise Lücken auf dem Musikmarkt schließen zu können und den zahlreichen Kammermusikensembles Literatur zu bieten. Das Interesse an dieser frühen und besonderen Rezeption damals zeitgenössischer Werke wirft auch ein Licht auf die historisch informierte Aufführungspraxis, die sich im Laufe der Jahrzehnte mehr und mehr Land – also musikalisches Terrain – erobert hat und nun im 20. Jahrhundert angelangt ist. Da ist es nur folgerichtig, dass Trevor Pinnock, ausgewiesener und langjähriger Spezialist für historisch informierte Aufführungspraxis, als Gastdirigent des Kammermusikensembles der Royal Academy of Music antritt, um diese beiden Adaptionen für den Verein für musikalische Privataufführungen einzuspielen.
Stärken und Schwächen reduzierter Orchesterfassungen
Die Gestalt der Kammermusikfassungen konnte er aber nur bedingt beeinflussen. Denn die verlorengegangene reduzierte Fassung der Mahlerschen Vierten musste nach Steins Einträgen in der Orchesterpartitur wiederhergestellt werden. Die Intimitätder kleinen Besetzung und die dadurch möglich gewordene größere Durchsichtigkeit auch komplizierter polyphoner Passagen herauszuarbeiten, war gleichwohl die Aufgabe Pinnocks, die als gelungen bezeichnet werden kann. Obwohl die Instrumentalisten solistisch eingesetzt werden, gelingt weitgehend ein orchestral-geglätteter Zusammenklang. Dass manche Instrumente solistisch hervortreten und aus dem Gesamtklang herausgehoben werden, war ja durchaus auch die Intention Mahlers im Rahmen des großen Sinfonieorchesters, die sich als eine Art Stilmittel durch seine sinfonischen Werke zieht. Ein aufetwa ein Zehntel der normalen Besetzung reduziertes Ensemble kann aber weder über die Klanggewalt noch die Ausdrucksmöglichkeiten eines großen Orchesters verfügen; das zeigt sich an der einen oder anderen Stelle der Mahler-Sinfonie, zum Beispiel am Ende des dritten, langsamen Satzes sehr deutlich. Hier fehlt es, trotz Klavier und Harmonium und großemForte, an Substanz. Und nicht umsonst hat Mahler ja für ein überaus großes Orchester komponiert, um bestimmte klangliche Effekte überhaupt gestalten zu können. Debussys 'Prélude' ist hier viel eher geeignet, auf ein so kleines Ensemble reduziert zuwerden, weil es auch in seiner originalen Fassung eine große Luzidität aufweist. Für beide Bearbeitungen aber gilt, dass siezusätzlich zur gewonnenen Intimität und Durchsichtigkeit viele Feinheiten und kompositorischen Raffinessen enthüllen, die imgroßen Orchesterapparat leicht untergehen.
Das Wunderhorn-Lied 'Das himmlische Leben' singt Sónia Grané mit einer sehr schlank geführten Stimme, die sich wunderbar inden Kammermusik-Klang des Ensembles einfügt. Während Pinnock seine Musiker zu insgesamt recht zügigen Tempi anhält, nimmt er diesen mit ‚Sehr behaglich‘ überschiebenen Satz im Tempo zurück lässt ihn am Ende, noch vor der letzten Strophe des Liedes, ausklingen, indem die Musik nahezu zum Erliegen kommt.
Vergebene Chancen bei der Bookletgestaltung
Das Booklet zur CD lässt einiges zu wünschen übrig. Dass die 20 zur Verfügung stehenden Seiten übersichtlich gestaltet sindund viel Raum für Fotos bilden, sogar das auf dem Cover abgebildete Gemälde Kandinskys noch einmal aufgreifen und in seinenPastelltönen wirken lassen, vermittelt einen Eindruck von Großzügigkeit und ist nicht zu monieren. Auch die auf dasKandinsky-Bild abgestimmte Farbgestaltung der Schrift in hellem Rot und Schwarz ist geschmackvoll. Der Verzicht aufÜbersetzungen der einführenden und biographischen Texte kann hingenommen werden. Obwohl der Umgang mit demverfügbaren Platz geradezu sorglos ist, bleiben drei halbe Seiten leer, die bei etwas verändertem Layout ohne weiteres für eineWiedergabe des Wunderhorn-Textes und seine Übersetzung ins Englische hätten genutzt werden können. Die Informationen zurRoyal Academy of Music und ihren Leistungen sind reichlich dick aufgetragen: Eine etwas dezentere Werbung hätte derEinrichtung nichts von ihrer Wertschätzung auch durch eine nicht-britische Leserschaft genommen. Und wenn schon die freienSeiten nicht für den Abdruck des Liedtextes verwendet wurden, so hätte man über den Dirigenten Trevor Pinnock durchaus nochausführlichere Informationen mitteilen dürfen. Ob es Absicht ist, Debussys 'Prélude à l'après-midi d'un faune' auf dem Coverdes Booklets einfach zu unterschlagen, erschließt sich nicht, aber es entsteht der Eindruck, dass werbestrategisch Mahler als dasZugpferd für diese CD herhalten soll. Im sonst sehr informativen und ausführlichen Einführungstext fehlt ein Hinweis darauf,dass Debussys 'Prélude' im Rahmen der Konzerte des Vereins für musikalische Privataufführungen in der Fassung von BennoSachs nicht mehr aufgeführt werden konnte. Das sind vergebene Chancen, was schade ist.
Was das Booklet aber ausdrücklich verspricht, nämlich die Einspielung weiterer Programme des ehemaligen Vereins fürmusikalische Privataufführungen sowie neue Arrangements symphonischer Werke für dieses Ensemble, hebt die Stimmung.