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Magnificat - Scattered Ashes - The New Listener

Giramolo Savonarola (1452-98) war mir bisher nur als Religionskritiker ein Begriff, der die Verbreitung seiner Ideen mit dem Tod auf dem Scheiterhaufen büßen musste. Dass er aber eine ganze Reihe von Texten – außer seinen Predigten – hinterlassen hat und bis zuletzt Texte wie das vorliegende Miserere verfasste, war mir neu. Und dass diese Texte sich in ganz Europa in Windeseile verbreiteten und von vielen zeitgenössischen Komponisten – aber auch in späteren Jahrhunderten – vertont wurden, das wirft sowohl auf den Text und seinen Verfasser als auch auf die Komponisten der damaligen Zeit ein völlig neues und sehr auf- und anregendes Licht. Zumal mit einem Ensemble wie dem 1991 von seinem Leiter Philipp Cave gegründeten Chorensemble „Magnificat“, das sich die Restaurierung und Wiederaufführung vergessener chorischer Meisterwerke aus Reformation und später Renaissance zur Aufgabe gemacht hat. Das Booklet gibt über den Chor, seinen Leiter, die Mitwirkenden und natürlich über die Texte und geschichtliche Hintergründe erschöpfend Auskunft, wenn auch nur auf Englisch. Was diese Gruppe an Musik überzeugend gestaltet und wiederbelebt, ist beispielhaft und braucht den Vergleich mit anderen Ensembles wahrlich nicht zu scheuen. Die Ausgewogenheit der Stimmen, die Phrasierung, die Darstellung vertracktester polyphoner Strukturen, die Textverständlichkeit und natürlich überhaupt der Klang von „Magnificat“ sind so, dass mich diese Musik in einen Bann zieht, der so manches andere an „musica antiqua“ verblassen lässt. Besonders beeindruckt hat mich die große Ruhe, mit der jede einzelne Komposition gestaltet und dargestellt wird, ob sie vom Titelgeber Josquin des Prez (1450/55-1521) oder von den anderen Komponisten wie Giovanni Pierluigi da Palestrina (1525-94), Claude Le Jeune (1528-1600), Orlando di Lasso (1532-1594), Jean Lhéritier ( 1480?-1551?), Nicolas Gombert (1495?-1560), Jacobus Clemens non Papa (1510/15-1555/56) und William Byrd (1543-1623) stammt. Sicher hat daran der Leiter des Ensembles einen besonders großen Anteil, denn wie das Programmheft beschreibt, scheint er ein „Besessener“ zu sein, dessen großes Engagement sich offenkundig auf alle Sängerinnen und Sänger übertragen hat. (Noch dazu, dass in der damaligen Zeit die Menschen sich ihrer Ausrichtung bewusst waren, zu „Mutter Erde“ und „Vater Himmel“ – oben wohnt „der liebe Gott“ und unten „der Teufel“ und wir als Menschen eben dazwischen eingespannt oder eingesperrt ad libitum.) Natürlich wäre ohne Savonarola und Jan Hus mit ihren Schicksalen einige Jahrzehnte später ein Mann wie Martin Luther nicht denkbar gewesen, auch wenn ihm glücklicherweise der Scheiterhaufen erspart blieb. Die Kompositionen auf dieser CD unterstreichen, dass Savonarolas Ideen und Texte eben keine Eintagsfliegen geblieben sind, sondern eine weiter reichende Wirkung hatten, allen Widerständen zum Trotz. Eine CD, die neue Maßstäbe im Bereich der Chormusik setzt, besonders auf dem Gebiet der „Alten Musik“, und das ist höchst erfreulich.

The New Listener
20 January 2017