KUNIKO - J.S. Bach: Solo Works for Marimba - HiRes Mac
So hatte sich das JSB gewiss nicht gedacht – weder, dass er JSB abgekürzt werden würde, noch dass eine Marimba sein Werk präsentiert. Und doch ist Johann Sebastian Bach beides passiert, das eine von mir, das andere von Kuniko. Die japanische Mallet-Spielerin hat sich eine Reihe von Kompositionen geschnappt und für ihre Marimba arrangiert. Macht 33 einzelne Stücke, darunter drei Violinen-Sonaten, drei Cello-Suiten, ein Prälüdium und der erste Satz aus dem Wohltemperierten Klavier. In Summe: gut zweieinhalb Stunden Spielzeit.
Zugegeben, man sollte es schon wollen. Bach ist ja ob seiner inspirierenden Variation über das Gleichförmige durchaus dem ein oder anderen schon per se nicht ganz geheuer. Das ganze nun auch noch auf ein einzelnes Instrument zu reduzieren und zudem auf eines, das feinfühlig mit Schlegeln traktiert wird, könnte manches Gemüt gewiss überfordern.
Auch ich bin nicht frei davon, diese musikalische Darbietung als Experiment klassifizieren zu wollen. Aber es klappt nicht. Schuld daran ist zum einen, dass ich nicht das gesamte Bach’sche Œuvre auswendig kenne, und zum anderen, dass Kuniko offenkundig weiß, was sie tut.
Dass ich Bachs Werke nicht in tutto verinnerlicht habe, kommt dem Experiment insofern zu gute, dass ich nicht für jedes der Stücke einen Klangvergleich im Kopf habe, eine Art Akustik-Norm, die schon mit dem ersten Ton schreit: “Nee nee nee! So soll das doch gar nicht klingen!”
Das ist nämlich beim Begrüßungsstück The Well-Tempered Clavier-Book I: Prelude No. 1 in C Major, BWV 846 (arr for Marimba) der Fall, das als Dauerbrenner der deutschen Klassik-Hitparade praktisch schon zum Genpool tetonisch-stämmiger Renzensenten gehört. Nee nee nee! Oder doch?
Es braucht etwas Zeit zum Einhören. Und dann, nach den dritten Hören, offenbart und erschließt sich plötzlich allerhand, das die Aufmerksamkeit fesselt: Zuvorderst der Marimba-Klang. Da ist zum einen der üppige Ton an sich. Dazu das Holz als Klangobjekt, was für die Güte der Aufnahme spricht. Und dann die Tiefe, in die das Schlag-Instrument hinunter-kellert. Bummmmm. Sacht-weiche Überraschungs-Gaben.
Auch sonst ist Überraschung-Potenzial gegeben – nehmen wir als Beispiel die Cello Suite No. 1 in G major, BWV 1007: V. Menuett I & II: Reduziert zum einen, offen und voll zum anderen. Die Akustik der Aufnahme stellt die Marimba naturgetreu in den Hörraum, in voller Breite, greifbar und sichtbar.
Ihr Klang indes ist vom Attack punktuell, von der Fülle in einer Kapelle eingebettet. Das macht die Töne transluzent, entkrampft die Darbietung wunderbar und entschlackt sie von gelehrigem Ballast, der nur allzuoft in Bach-Spielen sein Unwesen treibt. Und hier liegt dann auch die wesentliche Qualität von Kunikos Re-Arrangements: Sie öffnet die Bach’schen Kompositionen durch Reduktion.
Nach Arvo Pärt und Steve Reich ist Kuniko auch der Versuch an His Compositorial Highness Johann Sebastian Bach gelungen. Wobei der Zuhörer weiterhin gewillt sein sollte, sich neuen Klangerfahrungen zu öffnen, weil die Aufnahme sonst einfach nur zwei nervige Stunden voller Holzgetön zur Folge hat.
Aufgeschlossenere Charaktere werden dagegen einen neuen Zugang zu Bach finden, der auch den Rücksprung in die bereits bekannten Darbietungen bereichert und manches mit anderen Ohren hören lässt. Somit: ein lohnender Gewinn an Klang und Erkenntnis gleichermaßen.