Dunedin Consort - Handel: Samson - Oper
John Butt hat recht. Was sich im Zuge der historisch informierten Aufführungspraxis nicht rekonstruieren lässt, sind der Bildungsstand, die soziokulterelle Prägung und die religiöse Haltung des Publikums der Entstehungszeit von Kunstwerken. Nach heutigen Beurteilungskategorien wäre der Anführer Samson aus dem alttestamentarischen Buch der Richter ein problematischer Selbstmordattentäter. Doch hier durchlebt der überwiegen positiv gezeichnete Titelheld vor seinem Tod in der Schlacht gegen die Philister einen inneren Läuterungsprozess. Das deprimierende Ende erweiterte Händel noch vor der Uraufführung mit einen weihevoll-tröstlichen Schluss.
Diese Aufnahme ist insofern ein Novum, weil neben der CD-Version eine alternative Variante als digitaler Download verfügbar ist, in der die Chöre nur von den acht Solisten gesungen werden. Auf CD erklingt das Oratorium mit der Mitte des 18. Jahrhunderts in London üblichen Praxis, die Solisten mit Knabenstimmen, hier aus dem Tiffin Boys' Choir, parallel zu führen. Vor allem die Verdopplung von Frauen- mit Knabenstimmen hat außergewöhnliche Klangwirkungen zum Ergebnis. Diese verstärkt John Butt, indem er die betreffenden Stimmen so nahe aneinander wie möglich aufstellte.
Insgesamt bereichert Butts Samson nach Einspielungen von Raymond Leppard (mit Jon Vickers), Nikolaus Harnoncourt und Nochmals McGegan mit dem Festpielorchester Göttingen die Diskografie um eine durchsichtige, dabei auch die monumentalen und ausladenden Eigenschaften der Partitur akzentuiert Wiedergabe. Die Genauigkeit der Einstudierung, dazu der Frische und in idealer. Form selbstbewusste Zugriff des Dunedin Consort machen die über driestündige Spieldauer kurzweilig. Das liegt auch an der verdienstvollen und sehr stimmigen Besetzung, die zwar zur vokalen Geläufigkeit und Ornamentik fähig ist, diese aber nicht in den Vordergrund stellt. Joshua Ellicott verzichtet fast völlig auf die heroische Einfärbung des Titelparts und macht die lyrischen Arien zu Schmuckstücken, Sophie Bevan als Dalila muss hier keine kalkulierende Verführerin sein, sondern hat die Erdung von Mädchenfiguren in der niederländischen Barockmalerei. Butt bevorzugt für die tiefen Stimmen keine leichten, hell timbrierten Bässe, sondern lässt die festen und kräftigen Stimmen von Vitali Rozynko und Matthew Brook bewusst zum dunklen Fundament der Einspielung beitragen. Satte Tongebung, das sehr dichte, Kompaktheit und Eleganz verschmelzende Musizieren und das ausgezeichnete, die Solisten viril umschmeichelnde Dunedin Consort machen Samson zu einer beglückenden Entdeckung.