Maxim Emelyanychev & SCO - Schubert: Symphony No. 9 - Opera Lounge
Schon wieder eine Aufnahme von Schuberts Großer C-Dur? Das könnte man sich auf den ersten Blick wohl nicht zu Unrecht sagen. Linn (CKD 619) legt eine Neueinspielung der ausgedehnten Schubert-Sinfonie vor, welche vom Scottish Chamber Orchestra unter dem russischen Nachwuchsdirigenten Maxim Emelyanychev bestritten wird. Emelyanychev, 32, machte sich bis dato vor allem einen Namen als Cembalist, wirkte unter anderem bei den umstrittenen Aufnahmen diverser Mozart-Opern unter Teodor Currentzis mit. Die Schotten setzen auf junge Kräfte. Nach knapp zehn, höchst erfolgreichen Jahren mit Robin Ticciati folgte Maxim Emelyanychev mit Beginn der Spielzeit 2019/20 als neuer Chefdirigent nach – erstaunlich genug, da er das Orchester gerade im März 2018 erstmals dirigierte. Bereits vor dem offiziellen Amtsantritt kam die nun vorliegende Einspielung im Februar 2019 in der Caird Hall in Dundee zustande.
Wie klingt nun diese russisch-schottische Deutung eines der Schlüsselwerke der österreichischen Frühromantik? Trotz aller anfänglichen Zweifel, kann man die Motivation des Scottish Chamber Orchestra, Emelyanychev fest an sich binden, nachvollziehen. Vom ersten Takt an liefert er eine sicherlich HIP-beeinflusste, aber niemals akademisch herüberkommende Interpretation, die tatsächlich hie und da neue Einsichten in das zu Tode gehörten Werk liefert. Das ist nicht wenig, bedenkt man die endlose Werkgeschichte und die unzähligen großartigen Interpreten, von Wilhelm Furtwänglers archaischen Deutungen über Karl Böhms Wiener Klassiker bis hin zur überzeitlichen Exegese eines Carlo Maria Giulini. Tempomäßig bricht „der Neue“ (zum Glück) keine Rekorde, belässt dem Stück seinen romantischen Grundton, auch wenn er – schon aufgrund des doch kammermusikalischen Zugangs – mehr dem Klassizismus zuneigt. Die Symbiose mit den Schotten ist hörbar perfekt, das Ergebnis eine Art Versöhnung der historischen Aufführungspraxis mit den hochromantischen Auslegungen früherer Tage. Auch wenn sich der Dirigent nicht immer an die Tempovorschriften zu halten scheint, funktioniert sein Zugang doch letzten Endes. Die nicht überdominanten Streicher geben den Blick frei auf die Holzbläser. Im besten Sinne hervorragend das Blech, so in der fulminanten Coda des Kopfsatzes, dessen eindeutig heroischer Gestus nicht verleugnet wird. Der langsame Satz kommt nicht verschleppt, sondern eher beschwingt schreitend daher. Die große Dynamik der Aufnahme ist bei den orchestralen Ausbrüchen von Vorteil, so insbesondere bei der sogenannten „Katastrophe“ im selben zweiten Satz. Freilich wird hier keinem altväterlichen Ideal von Wiener Klassik gehuldigt. Andererseits könnte man aber auch nicht behaupten, Emelyanychev lege es auf Schroffheit um der Schroffheit willen an. Feingliedrig und locker-leicht das Scherzo – hier kann das Kammerorchester seine genuinen Vorzüge voll ausspielen; dazu werden vom Dirigenten einige sinnige Rubati eingestreut. Die vielleicht größte Bewährungsprobe ist im Finalsatz zu bestehen. Energetisch und doch nicht zügellos drängt es hier nach vorn, unterbrochen von lyrischeren Ruhepolen. Naturgemäß wird der Schluss zum Höhepunkt, so auch hier. Eine an Don Giovanni gemahnende Dämonie kann auch ohne ein überreichliches Maß an Pathos erzielt werden. Schnörkellos klingt die Große C-Dur aus und stellt trotzdem zufrieden. Der Dirigent entscheidet sich für einen gelungenen Kompromiss aus betontem Schlussakzent und leiser werdendem Diminuendo.
Unterstützt von der Linn-typisch großartigen Tontechnik, erweist sich diese Veröffentlichung tatsächlich als positive Überraschung und führt vor Augen (und Ohren), dass auch bei den „ollen Kamellen“ ab und an noch hörenswerte Neuaufnahmen zustande kommen können, die nicht von Anfang an bewusst anders klingen wollen, um in der Masse überhaupt noch wahrgenommen zu werden. Man darf sich auf weitere Ergebnisse der hoffentlich ertragreichen Zusammenarbeit zwischen Maxim Emelyanychev und dem Scottish Chamber Orchestra – vorzugsweise wieder bei Linn – freuen.